Vollgepackte Tage und verplante Nächte, die genauso großartig wie verheerend sein können, nur nichts dazwischen. Und die Ritzen fülle ich mit denken, schreiben, lesen und dahin vegetieren. Mal wieder verrannt, das spüre ich immer deutlicher, will es nur nicht wahr haben, es nicht zu meinem Lebensmotto machen, halte mich mit Mühe davon ab, es an die Wände zu schmieren, mir auf die Stirn zu schreiben. So vieles wiederholt sich, das niemals hätte wiederkehren dürfen, wie die Weltlinien in dem Buch, ausgedünnt, abgewetzt bis auf eine Faser und es geht immer nur noch bis zu diesem einen Punkt und dann zurück auf vorher, verdammt dazu, das letzte Stückchen immer wieder und wieder zu gehen. Aber die Welt dreht sich weiter, alle Anderen gehen weiter, spüren gar nichts davon, halten nicht mal kurz inne. Nur wenige stehen noch dort, warten auf mich, werden langsam unruhig. (You can't run the race, the pace is too fast, you just won't last) Eigentlich will ich sie gehen lassen, will gar nicht weiter nach vorn, nicht weiter mit dem Kopf gegen die Wand, sondern mir einen Abzweig suchen, in stillere Ecken mit weniger Baustellen, doch der Bergsee ist längst schon vertrocknet, die Plantage lange verbrannt, keine Abzweige mehr vor mir auf dem kleinen Stück zur Endgültigkeit. Die Zeitlosigkeit geht in die fünfte Woche, die Schwüle laugt mich aus und die Hitze macht mich dünnhäutig. An diesem endlosen Nachmittag, den ich, wie scheinbar alle freien Nachmittage, so lange ich denken kann, mit Spurensuche verbringe, wechsle ich langsam von Soundgarden zu System Of A Down, versuche munter zu werden, die Trägheit abzuschütteln, wieder schreien zu können und muss an das denken, was vor mir liegt, das ich längst aufgegeben habe, was hinter mir liegt, das mich längst aufgerieben hat und damit bleibt wieder nur der kleine Hopser von der Lethargie zur Resignation. Ich sehne mich nach dem Tag, da ich die Hände endlich wieder zu Fäusten ballen kann, um diese beschissene Barriere einzureissen, und kann mich kaum noch erinnern, warum ich sie überhaupt je geöffnet habe. Letztendlich war doch alles nur ein Trugbild.
Dinge, die man nach einer langen Nacht, mit einem verheerenden Kater und Gleichgewichtsstörungen im Handgepäck unbedingt tun sollte: Einen Kletterwald besuchen. Für etwas, das ich im Voraus als meine persönliche Vorhölle betrachtet habe, lief es im Grunde genommen ganz gut. Dazu wäre noch anzumerken, dass ich unter einer minimalen Höhenangst leide; im Prinzip läuft es darauf hinaus, dass ich mich am Ende meiner Existenz angekommen wähne, sobald ich etwas erklimme, das höher ist als -sagen wir: ca. 20 cm. Ich tausche also nur höchst ungern defekte Glühbirnen aus, was ok ist, da ich schummrige Umgebungen mag. Zudem mag ich körperliche Ertüchtigungen maximal in spielerischer Form: Sobald darum geht, einen irgendwie gearteten Gegenstand in ein irgendwie geartetes Zielgebiet zu bringen, bin ich dabei; auch eine Runde Twister ist in ihrem Unterhaltungswert nicht zu unterschätzen. Ich selbst zähle allerdings nicht als irgendwie gearteter Gegenstand, Marathonteilnahmen sind gänzlich ausgeschlossen und meine strikte Weigerung, Fahrräder zur Freizeitgestaltung zu nutzen ist in meinem Freundeskreis legendär. Insofern ist es also kaum als logische Konsequenz zu betrachten, dass ich heute Nachmittag, kurz nach dem Erwachen und dem üblichen KK-Frühstück, welches ich überraschenderweise in einer Bierlache in einer leeren Wohnung zu mir nahm, mich aufmachte die Wipfel naheliegender Bäume zu erkunden. Entsprechend schwierig gestaltete sich wohl auch -für meine Mitreisenden- die Anreise: Dass man die letzten Stunden des eigenen Daseins irgendwie besser hätte nutzen müssen als zu schlafen, dass man sich auf jeden Fall noch auf einen Schwur einigen müsse, was zu tun sei, sollte dieser Tag wider Erwarten überlebt werden und dass jegliche Aktivität, die nicht das Mitbringen eines Rucksacks voller Getränke vorsehe, ohnehin als gänzlich unzivilisiert zu betrachten sei, war da zu hören. Dort angekommen nahm die Skepsis beim anlegen der Schrittgurte des Klettergeschirrs rekordverdächtige Ausmaße an. Nach den drei Schritten über ein Drahtseil in etwa 1,50m Höhe und anschließendem am Seil runterrutschen schien das Ganz aber plötzlich doch so etwas wie eine Pointe zu entwickeln. Überhaupt sagte mir der Tag, dass ich eigentlich hätte Seiltänzer werden sollen. Es ist das Phänomen der Leichtgläubigkeit, das sich mein ganzes Leben lang immer wiederholt: Egal, ob ich die Lederkombi zum Motorradfahren aus dem Schrank hole, das Pad zum Footballspielen anlege oder eben ein Klettergeschirr um mich rumzurre, mit der richtigen Ausrüstung bin ich unverwundbar. Da ist es auch egal, ob sich die zu querenden Balken auf dem Boden, auf 3,50m, auf 14 oder 500m befinden. Vielleicht sollte ich in Zukunft beim Glühbirnenwechsel einfach den Gürtel ein wenig enger schnallen. Allerdings möchte ich auf eine Sache noch hinweisen: Die zivilisation hat -neben Rucksäcken voller Getränke- noch weitere Dinge von unschätzbarem Vorteil hervorgebracht. Beispielsweise ein Gerät aus zwei Balken mit Sprossen dazwischen, welches zum Überwinden vertikaler Entfernungen dient. Miteinander verknotete Seile, werte Baumfreunde, gleich wie viele es seien und auch wenn sich die Schlingen genau dort befunden hätten, wo man sie vermutete, können diese Errungenschaft einfach nicht ersetzen. Merkt euch das.
Zum Ausgleich war das Abendprogramm einmal mehr der perfekte Abschluss für den Tag. Entspanntes Grillen bei schlechter Musik und kurzweiligen Gesprächen mit unter anderem der Frau, die mich mal als ihren heimlichen Schwarm bezeichnet hat. Möglicherweise zum Teil über unangenehme Themen, möglicherweise zum Teil melancholisch, möglicherweise zum Teil belanglos, aber in der Summe für jeden etwas und für mich alles. Keine Dränge, Zwänge, Entgleisungen, Bedenken. Und natürlich wieder die strahlendsten Augen der Welt. Diesmal rechtzeitig die Kurve bekommen -danke A.- und nicht zum weiteren Gezappel ins Zentrum. Das Gemäßigte als Konzept kennen gelernt. Auf dem Heimweg ist es schon wieder nicht zu warm und nicht zu kalt sondern gerade richtig und das neue Handy, das nichts kann außer telefonieren und Musik spielen, das dafür aber richtig, darf sich schon wieder bezahlt machen. Zu Bushs Alien den ranzigen, übervölkerten Bahnhof verlassen und sich wieder auf den Weg durch diesen Querschnitt der Stadt machen, der mich schon in meiner letzten Ewigkeit begleitet hat, damals in goldenen Sonnenschein getaucht. Unterwegs denke ich an alles und an nichts, wie schön doch alles ist und welch tragische Wendungen so manches nahm, geniesse das Gefühl der Verlorenheit, genau wie die andere Frau, die jetzt 7000km weit weg ist, es mir gestern noch schrieb, als ich am Hochhaus vorbei laufe, muss kurz grinsen, als ich die Leuchtschrift Arbeit und Leben an einer der Fassaden sehe, kann wieder nicht umhin, an dem Schmiedeeisernen Tor anzuhalten und in diesen verwunschenen Hinterhof zu schauen, der immer so entrückt wirkt und den ich mich weigere bei Tageslicht zu betrachten, weil man sich ein paar seiner Träume bewahren soll, laufe vorbei an diesen alterwürdigen Fassaden, durch die leeren Straßen, schliesse die Augen und atme tief ein. Alien passt nicht mehr und ist längst vorbei, als ich den kreisrunden Leuchtstreifen erreiche, an dem ich schon einmal stand, in besseren, schlechteren Zeiten, als ich weniger ich selbst und trotzdem mehr angekommen schien. Ich nehme mir diesen Moment für mich, bleib dort stehen und blicke in die Tiefe. I don't ever wanna come back down from this cloud, it's taken me all this time to find out what I need. Und warum hab ich das eigentlich nie mit dir gemacht, nie wir? Wir hätten uns den Kopfhörer teilen können, wie früher, als in den Dinger noch Kassetten steckten, und in einer lauen Sommernacht durch diese Stadt laufen. Und mit dem anderen Ohr hättest du gehört, wie ich dir meinen Blickwinkel von allem um uns herum erzähle, und ich, wie du das siehst und wir hätten nicht zu viel getrunken, nur die ein zwei Bier oder auch gar nix und einfach nur lange getanzt, genug um irgendwie in diesen gelösten Zustand zu kommen, und wir hätten endlich aufgehört nebeneinander her zu sein sondern wären am Rande so ein bisschen verschmolzen. Das bin ich; ich brauch das, ich muss Dinge sehen und Leute hören, Menschen spüren und manchmal auch riechen. Auf meiner Couch, auf deiner Couch, im Auto, im Büro, im Flugzeug, im Taxi: Da verkümmere ich. Ich höre auf zu existieren und werde ersetzt durch etwas, das mir ähnlich sieht. Meine eigenen Gedanken langweilen mich, meine Persönlichkeit rückt von mir ab und wird zu einer fernen Erinnerung, die Ruhemasse wird immer größer und es braucht einen unglaublichen Impuls, um wieder ins Leben zurück zu kehren. Maximale Entropie ist immer noch nicht meins.
An Abenden wie diesen ist fast schon ein wenig traurig, vor der eigenen Haustür anzukommen. Und es fühlt sich auch gar nicht so sehr nach ankommen an, mehr nach einer weiteren Episode, die neben allen anderen existiert. So soll es sein. My home is no castle.