Freitag, 20. Februar 2009

und dann

ist da wieder dieses wochenende, auf das man sich seit langem so freut, und vor dem man ein bisschen angst hat.

Montag, 9. Februar 2009

nachtrag: das land der zäune

Angekommen oder gestrandet, verlassen oder meiner Freizeit übergeben, wie auch immer: Da bin ich also. Falle des Nächtens ein in der Stadt, in der niemand seinen Hund im Vorgarten beerdigen kann, ohne auf Mauerreste aus drei verschiedenen Epochen zu stossen. Interessant auch, dass der erste Tag dieser Zeitspanne, die unter der Vorgabe Entspannung stattfinden sollte, damit endet, dass ich im Vollmondlicht über den wohl größten Friedhof der Welt streiche. All die angestrahlten Stadtmauern, Kirchen und aus dem Fels geschlagenen Monumente, in Verbidung mit der Menschenleere der Orte, die ich zuerst besuche, erweckt in mir den Eindruck auf unglaubliche Weise geschrumpft in einer Museumsminiatur umherzuwandern. Ganz klar: Die Welt ist anderswo. How I learned to disappear Weiter im Innern der Stadt weicht der Eindruck einem anderen, den ich nicht zu deuten vermag. Ein lebendes, pulsierendes Klischee, angefüllt mit kleinen Absonderlichkeiten und großen Abstrusitäten, Kopfbedeckungen aus Pappe und unberührbaren Frauen. Eine sicher 30köpfige Gruppe etwa 20jähriger Mädchen steht im Kreis, sich gegenseitig im Arm haltend, singt Lieder und wiegt sich dazu im Takt hin und her. Zuviel heile Welt, als dass ichs glauben könnte; der Zyniker tobt noch, braucht mehr Auszeit, mehr Abstand zum Abschalten. Aus eher unspannenden Gründen wird "Bedrock" mein Lieblingswort für die nächsten paar Tage sein. (Und jetzt wo ichs schreibe find ichs auch schon wieder gut).
Der folgende Tag beschert mir lange Fussmärsche über ausgetretenes Pflaster, tausend Meilensteine der Geschichte und Sehenswürdigkeiten, gefühlte drei Zillionen Kirchen (die im Übrigen zu 90% von irgendwelchen deutschen Kaisergattinnen bezahlt worden zu sein scheinen) und Heerscharen von Bibelzitaten, die ich weder erkenne noch im Nachhinein zu deuten weiss. Später wird mein Führer (für den ich keine bessere Bezeichnung finde, auch wenn diese denkbar unpassend scheint) herausfinden, dass ich für bissige Kommentare empfänglicher bin und damit womöglich seine Vorurteile den Deutschen gegenüber komplettieren (auch wenn er bis dato keine zeigte, aber das Gefühl, dass die Leute anderes zeigen als sie denken ist hier ohnehin ausgeprägter als an den meisten anderen Orten, China und Japan ausgenommen). Jedenfalls war ich sicher eine herbe Enttäuschung. Anhand meiner Fragen und Anmerkungen attestiert man mir mangelnde Spiritualität, aber als ich nach dem Ort frage, an dem das grösste Wunder von allen geschehen sein soll, rät man mir davon ab dort hin zu gehen, weil es da kaum etwas zu sehen gäbe. Dass ich durch die Geschichte wandern würde, war mir vorher theoretisch klar, aber es erweist sich als noch wesentlich geballter als gedacht; irgendwann bin ich aus dem Staunen heraus, registriere nur noch, wie betäubt nehme ich zur Kenntnis und stapfe weiter zum nächsten Punkt der Tour, von dem ich sicher auch schon was gehört habe. Wirklich wach werde ich erst wieder, als der Muezzin zum Gebet ruft; etwa eine Sekunde, nachdem mir bewusst wird, dass ich der einzige nicht arabisch aussehende Mensch auf der Strasse bin, wird mir auch klar warum: Als würde hinter ihnen der Boden einstürzen, strömt plötzlich der gesamte verbliebene Teil der Bevölkerung Richtung Moschee; und ich bin gerade in die andere Richtung unterwegs. Auf jeden Fall sehr eindrucksvoll. Und auch wenn es kein Geschiebe und Gedränge gab, und offenkundig auch niemand Anstoss an meiner Störung des Verkehrflusses nahm, wird einem doch regelrecht schwindlig, wenn so viele Menschen um einen herumströmen. Gegen Ende dieses Tages, vor dem mein Geist vermutlich der mangelnden Spiritualität wegen schon lange kapituliert hat, mache ich mich auf den Rückweg zum Hotel und treffe dabei verständlicherweise auf den Bundesvorstand der Grünen. Auf der Suche nach einem Geldautomaten mache ich eine erstaunliche Entdeckung: Die sind hier halbautomatisch. Im Innern befindet sich ein Einheimischer. Man geht also durch eine lose in nur noch einem Scharnier hängende Sperrholztür in das im Übrigen aus Panzerglas bestehende Gerät, schiebt dem Automat die Karte in den Schlitz zwischen seinen Fingern, teilt ihm per Spracheingabe mit, wieviel Geld man benötigt und wartet. Das von mir gewählte Exemplar hatte leider einen kleinen Defekt: Kurz nachdem ich die Karte eingeführt hatte, wies es mich an, mich in der hintersten Ecke auf den Boden zu knien. Ich bereue immer noch, dass ich nur ein verdutztes Gesicht gemacht und "W*T*F*?" gefragt habe, anstatt voller Inbrunst und Überzeugung: "Ich knie vor niemandem!" zu rufen -sowas mach ich dann doch meist nur in meinen Träumen von besseren, heroischeren Zeiten. Zum Glück kam sofort der SysAdmin herbeigeeilt, um den Defekt zu beheben ("Are you sick? Don't bother him, stupid!") und die Auszahlung konnte erfolgreich beendet werden. Während der anschliessenden Umsetzung eines Teils des gerade realisierten Vermögens werde ich schon wieder kategorisiert: "You are nice, but not easy." Dabei bin ich der Meinung, dass er sicher immer noch genug verdient hat. Letztendlich versuche ich, den Tag bei einem Bier vom Kiosk um die Ecke im Park -natürlich mit Blick auf den bereits erwähnten Friedhof, dem man sich hier ohnehin kaum entziehen kann- ruhig ausklingen zu lassen und scheitere an einer weiteren unverhofft auftauchenden Reisegruppe. Teenager benehmen sich übrigens offenbar überall auf der Welt gleich. So hab ich es also nicht mal in der heiligen Stadt geschafft, meinen Frieden zu finden. Was das wohl wieder über meine ohnehin schon arg strapazierte Spiritualität aussagt?
Kleiner Sprung nach vorn: Um der Entspannung weiteren Vorschub zu leisten stand ein Ortswechsel in eher urlaubsgeeignete Gefilde an. Die Richtungsangaben hatte ich natürlich, als von Stolz erfüllter Nutzer eines geliehenen Navigationssystems, vom rechten widerstandslos und unmittelbar an das linke Ohr durchgeschleust. Ausgestattet mit meinem taufrischen Mietwagen, der lediglich vorn, hinten, seitlich, oben und dazwischen leichte Hagelschäden aufwies (die teilweise verdächtig nach C-Klasse Stossstangen aussahen; erstaunlicherweise besonders die auf dem Dach) ging ich also frohgemut ans Werk, dem Wunder moderner Technik eine Route abzuringen. Das sollte sich allerdings als schwieriger erweisen als zunächst gedacht: Nach Eingabe meines Zielortes war der sympathischen (wenn auch etwas blechernen) Frauenstimme nur der Satz: "Your destination lies in an unreachable area!" abzuringen. Mehrere Versuche später, die der unsympathischen, ziemlich blechernen Frauenstimme immer nur die gleiche Reaktion entlockten, war ich immerhin in der Lage, dieses verdammte verblechte Frauenzimmer dazu zu bewegen, mir eine Übersichtskarte anzuzeigen. Erstaunlicherweise waren darauf grosse Teile des Landes in einem zwar schicken, in diesem Umfeld leider völlig kontraproduktiven schwarz gehalten. Das unerreichbare Areal war also praktisch überall um mich herum, außer dort von woher ich gekommen war. Grmpf. Die Route zu einem in der richtigen Himmelsrichtung liegenden Vorort war offenbar immerhin machbar; man soll ja für die kleinen Dinge dankbar sein. Während mir die blöde Blechkuh allerdings nach einem Abbiegevorgang fröhlich ins Ohr schepperte, ich solle der Strasse für drei weitere Kilometer folgen, hatte die Betonmauer, die sehr massiv und etwa 12 Meter hoch einen Steinwurf weiter quer auf der Strasse stand, offenkundig ganz andere Ansichten in dieser Sache. Mit viel Improvisation, Glück und der neuentdeckten Navigation nach Sedimentschichten schaffte ich es dennoch, die richtige Ausfallstrasse zu finden. Noch während ich mich über meine ausgeprägte Überlebensinstinkte freute, stellte sich ein mulmiges Gefühl ein, als ich einen alten Bekannten entdeckte: Die Mauer von vorhin. Von der anderen Seite. Sieht auch nicht freundlicher aus. Glücklicherweise blieb es allerdings beim Gefühl und nichts weiter dramatisches passierte. Die Fahrt in den Keller der Welt begann also und verlief zunächst recht unspektakulär, bis man in sich selbst ein bisher unendecktes Faible für Ockertöne wahrnimmt; ab diesem Punkt wurde es wahnsinnig spannend und man will sofort jeden Stein fotografieren.
Als ich unterwegs folgerichtig in eine "Seitenstrasse" abbog und anschließend anhielt, um ein paar Fotos zu schiessen, wurde ich von einem Trupp Soldaten wieder ins Auto und zurück auf die Hauptstrasse gescheucht. Es sei, so sagt man mir, "theoretisch möglich, dieses Gebiet zu durchqueren, aber man kann hier nicht sein." -"Nicht einmal, um Fotos zu machen?", fragte ich, worauf mir mit fast schon buddhistischer Weisheit geantwortet wurde: "Du kannst hier keine Fotos machen, denn du bist gar nicht hier. Du bist nur zwischen da und dort."
Nach dieser Begegnung hatte ich ein klein wenig die Hosen voll und war wohl deswegen etwas zu schnell unterwegs, so dass der Halt vor der plötzlich auftauchenden Strassensperre für die wartenden Polizisten offenbar unverhofft abrupt erfolgte. So darf ich es denn auch als direkte Folge betrachten, dass ich die nächste halbe Stunde damit verbrachte, jeden noch so kleinen Fitzel meines Gepäcks auf dem Seitenstreifen zu verteilen, begutachten zu lassen und anschließend wieder einzuräumen. Zum Abschied nannte man mir noch einmal die im nichtexistenten Hier geltende Geschwindigkeitsbegrenzung. (Kurze Zeit später fühlte ich mich übrigens durch die vorletzte Episode ein wenig verarscht, ob der Frage, warum es in einem Gebiet, in dem man nicht sein kann, so viele Bushaltestellen an der Strasse gibt.)
Wiederum etwas später liess ich die kleine Schwester des alten Bekannten, den Stacheldrahtzaun (heute auf Tour mit ihrem Neffen, dem Warnschild), endlich hinter mir und genoss in alle Blickrichtungen Landschaft. -Und Ocker. Ab jetzt durchsetzt mit einer Prise Türkis, die wahrhaft phantastisch korrespondiert. Nach ein paar weiteren Kontrollpunkten, die durch den vorhergegangenen Lerneffekt aber quasi zügig -also im Schritttempo- passiert werden konnten, kam ich an; und fühle mich kurze darauf sogar schon angekommen. Was folgte waren Ruhe, Sonne und Bier, sowie das eigenartige Gefühl, wenn Körperteile zu schwimmen beginnen, die ansonsten eher zum Hängen tendieren (und nein, das ist nicht bedenklich, ich spreche nur von zweien). Bevor ich noch weiter abgleiten kann, lasse ich den beschaulichen Teil, den man oberflächlich betrachtet ohnehin als Kugelsternhaufen der Worte "ocker", "türkis" und neu auch "grün" bezeichnen könnte, weg (Nur in der Schilderung natürlich, ansonsten empfehle ich wärmstens, ihn nicht weg zu lassen!), und mache mich etwas später, ausreichend geockert, türkisiert und begrünt auf den Nachhauseweg (Verpassen sie nicht in der Fortsetzung: Wie sich Kalkweiss in das Spektrum stahl).
Der Mitarbeiter der Autovermietung am Flughafen äußert sein offenkundiges Misfallen über die winzige Delle, die ein herabfallender Stein während meiner Wüstenfahrt auf dem Dach des Wagens hinterlassen hat. Dass dieser kleine Unfall bei dem misglückten Versuch, einen Wadi mit einem Kleinwagen zu befahren, passierte, erzähle ich ihm lieber nicht. Eigentlich sah die Strecke anfangs recht einladend aus, die Fahrt endete allerdings wenige Meter nach dem omnibusgroßen Felsen, der wiederum nur wenige Meter nach dem Stein des späteren Anstosses quer in einer Kurve lag, kurz nach Beginn einer eindrucksvollen Steigung auf nicht minder eindrucksvollem Geröll. Letztendlich einigen wir uns darauf, dass ich meine letzten beiden Biere wohl nicht mehr benötigen würde und die neuerliche Delle doch im Endeffekt nur die beiden vorher da gewesenen zu einer einzigen verbinde, das Auto jetzt de facto also weniger Beschädigungen aufweist als zum Zeitpunkt der Anmietung.
Nach ein paar Stunden knarzenden Lautsprecheransagen (inkl. Zwischenstopp, bei dem ich -tadaa!- den Bundesvorstand der Grünen treffe) bin ich wieder zurück in der Stadt der Frauen mit seltsamen Kopfbedeckungen. Irgendwer sang mal "Everybody in a helmet looks just like a dick", und ich bin mir sicher, auch das schärfste Topmodel sieht in einem Häkel-Klorollen-Häubchen aus wie ... naja. Klorolle eben. Mindestens bis zur Hüfte. Aber das gehört eigentlich mal irgendwo anders hin geschrieben (Plakatwände! PLAKATWÄNDE!). Die letzten zwanzig Minuten meines Ausflugs sehen so aus, dass mich Heimatgefühle überkommen, als ich mein Auto sehe, Wehmut packt, als ich nach Hause fahre, Heimatgefühle trösten als ich die Tür aufschliesse und Wehmut mich trifft als ich die Wohnung betrete. Nur anderer. Oder war's Melancholie?

Die Falle ist, dass die Fallen da sind, wo mein gar keine Fallen vermuten würde. Aber das ist ja eigentlich auch der Sinn von Fallen.

VERNUNFT
fahr-zur-hoelle org

dein

Du bist nicht angemeldet.

mein

Online seit 7770 Tagen
Zuletzt aktualisiert:
Donnerstag, 15. Juli 2021, 02:03

unser

Kryptik lässt doch im...
Kryptik lässt doch im Prinzip auch nur das Unwesentliche...
hoffnungstraeger - 23:50
Nee, da kann ich jetzt...
Nee, da kann ich jetzt wirklich nicht zustimmen. Und...
ungesagt - 11:44
eigentlich bin ich des...
eigentlich bin ich des Deutens gerade ziemlich müde,...
hoffnungstraeger - 05:32
So kryptisch wie der...
So kryptisch wie der Beitrag ist, so unklar dürfte...
ungesagt - 18:37
Oh, so viel bedingungslose...
Oh, so viel bedingungslose Zustimmung bin ich gar nicht...
hoffnungstraeger - 14:35
Absolut. Nimm einen Wodka,...
Absolut. Nimm einen Wodka, das hilft, wahrscheinlich....
ungesagt - 13:51
Insofern dass Erfüllung...
Insofern dass Erfüllung nicht als isolierter Moment...
hoffnungstraeger - 03:41
One Love
Diese Zelle ist bestenfalls ein Panicroom, eher eine...
D. C. Paria - 08:13

zielsicher

 

danke

powered by Antville powered by Helma

sorua enabled
xml version of this page

twoday.net AGB


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren